Jungfrau Zeitung - Ala sammelt für die Menschen in ihrer Heimat

2022-11-07 16:10:47 By : Ms. li guo

Ein kleiner Plüschhase sitzt stumm zwischen den zahlreichen Plastiksäcken in einer Garage in Bönigen. Das Stofftier wird einem der vielen Kinder, die aktuell mit ihrer Familie aus ihrer Heimat, der Ukraine, flüchten müssen, unter Umständen ein wenig Trost spenden können. Im Hintergrund sieht und hört man Ala, die in ihrer Landessprache mit Freundin Iryna redet. Sie sortieren die vielen Spenden, welche in den vergangenen Tagen eingegangen sind. Ferngläser, warme Schuhe, Handtücher, Schlafsäcke, Taschenlampen, Konservendosen, Windeln und vieles mehr. «Wir sind unglaublich dankbar, für die grosse Solidarität der Menschen», erzählt die gebürtige Ukrainerin Ala, als sie kurz eine Pause einlegt.

Vor wenigen Tagen begann die Sammelaktion der dringend benötigten Güter für die Ukrainerinnen und Ukrainer. Am Aareweg 42 in Bönigen können jeweils von 9.00 bis 21.00 Uhr bei Ala Baumgartner Spenden deponiert werden. Benötigt wird Folgendes:

Outodoor-Matratzen, Heizkörper, Taschenlampen, Stirnlampen, Gaslampen, Powerbanks, Akkus, Batterien, Verlängerungskabel und Mehrfachstecker (EU-Norm), Stromgeneratoren, Zundhölzer.

Decken, Kissen, Handtücher, Bettwäsche, (vor allem warme) Kleidung für Frauen und Männer, inklusive Mützen und Handschuhe, Outodoor-/ Einweg-Geschirr, Gaskocher, Thermosflaschen, Hygieneartikel (wie Zahnbürsten, Zahnpasta, Duschgel und so weiter), Verbandsmaterial, Schmerzmittel, medizinische Handschuhe, Katheter, Nähmaterial, Defibrillatoren, chirurgische Einwegkittel, grundlegende chirurgische Instrumente (wie Gefässklemmen/Pinzetten/Skalpelle für die primäre Wundversorgung – N 18, 22, 23, 24), lang haltbare Lebensmittel.

Über die aktuellen Geschehnisse in ihrer Heimat zu reden, fällt der 52-Jährigen sichtlich schwer. «Ich habe keine Tränen mehr in mir, es fühlt sich taub an. Es ist so, als ob ich innerlich zerbrochen wäre.» Das Sammeln von unbedingt benötigtem Material für ihre Landsleute lenke sie ein wenig ab, dafür sei sie dankbar. «Die ganzen Emotionen, die hochkommen, kann ich momentan gar nicht verarbeiten.» Kaum hat die Mutter zweier Töchter ihren Satz beendet, klingelt das Handy. Es wird nicht das letzte Mal sein, dass das Mobiltelefon von Ala Baumgartner während des Gesprächs mit dieser Zeitung klingelt.

Die Person am anderen Ende der Leitung möchte etwas zu der Sammlung beitragen. Kaum hat Ala aufgelegt, summt das Handy erneut. Immer wieder rufen Menschen an oder schreiben Nachrichten. Ala, die seit 21 Jahren in der Schweiz wohnt, entschuldigt sich für die Ablenkung, was angesichts ihrer Situation fast schon absurd erscheint. Sie müsse sich keineswegs entschuldigen, erwidert der Autor dieser Zeilen.

Die Bönigerin mit ukrainischen Wurzeln lässt ihren Blick über die vielen Güter schweifen, die sich in ihrer Garage türmen. «Gestern kam ein sehr alter Mann vorbei», beginnt sie. «Ich schätze, dass er über 90 Jahre alt war. Im Gepäck hatte er eine Packung Ibuprofen und zwei Tafeln Schokolade.» Ala schüttelt fast unmerklich den Kopf, und fügt mit leiser Stimme an. «Da zerbricht einem beinahe das Herz.»

Wenn man in die Ukraine anruft, weiss man nie, ob sich noch jemand meldet

Gerade erst habe sie dank der Unterstützung zahlreicher Privatpersonen und Unternehmen mit vier voll beladenen Autos und Transportern unzählige Güter zur ukrainischen Botschaft in Bern bringen können. «Am Morgen luden wir alles Material ab, am Nachmittag war es bereits wieder weg», so Ala, die aus der Südukraine stammt. Aktuell sei die Sammelaktion pausiert, das liege in erster Linie an den logistischen Herausforderungen, die nun bewältigt werden müssen.

«Ab Montag können wir damit weiterfahren», führt Ala aus, als ein Wagen vorfährt. Ein älterer Herr steigt aus, er hat einen vollen Plastikbeutel bei sich. «Vielleicht hilft das», sagt der Helfer, als er ihr Handtücher und mehrere Tafeln Schokolade reicht. Weitere Hilfsgüter, die die 52-jährige Ala mit ihrer Freundin Iryna sorgfältig verstaut und für den Transport bereit macht.

Während einer weiteren kurzen Pause erzählen die beiden Frauen von ihren Familien, die nach wie vor in der Ukraine sind. «Mein Bruder hat sich freiwillig bei einer Miliz gemeldet, die für die Verteidigung der eigenen Stadt zuständig ist», erzählt Ala. Sie habe vor einiger Zeit erfahren, dass ein russisches Panzerregiment durch die Ortschaft gefahren sei, dabei hätten sich den Invasoren Dutzende ukrainische Einwohnerinnen und Einwohner in den Weg gestellt.

Ihre Eltern leben alleine, was ihr stets Sorgen bereite. «Ihr Haus besteht aus einfachen Wänden. Einen Keller haben sie nicht. Daher bitte ich sie, dass sie wenigstens während der Raketenangriffe in der Badewanne Schutz suchen.» Die älteren Menschen hätten häufig Mühe damit zu realisieren, was in ihrer Heimat aktuell geschehe.

Man halte so gut wie irgend möglich Kontakt zu den Verwandten in der Heimat, so die Freundinnen Ala und Iryna. «Meistens rufe ich morgens und abends an», fährt Ala fort, ihre Stimme wird brüchig. «Morgens habe ich meistens zittrige Hände», sie hält kurz inne. «Man weiss einfach nie, ob sich noch jemand meldet.» Die Angst, einen geliebten Menschen nicht mehr zu erreichen, sei stets präsent.

Stille macht sich breit. Die beiden Frauen wollen sich wieder auf ihre Arbeit konzentrieren. «Wir sind unendlich dankbar für die Hilfe, die wir erhalten», sagt Iryna zum Schluss. Und so kehren die beiden in die Garage zurück, sortieren die vielen Spenden und packen weiter dringend benötigte Güter für ihre Landsleute