Kolumne Pyanissimo: 155 Kilogramm „Gute Nacht“

2022-11-07 16:12:32 By : Ms. Yiman Cheng

Was haben die Ostdeutschen nur mit dem Sandmann? Unsere Autorin stellt das geplante Bronze-Denkmal für die Kultfigur infrage.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk widmete 2 Minuten und 47 Sekunden der vergangenen Woche dem Fakt, dass eine regionale Initiative höchst erwachsener Menschen in Altlandsberg (Märkisch-Oderland) dem mittlerweile 62-jährigen Star des DDR-Kinderfernsehens, nämlich dem Sandmann, ein veritables Bronze-Denkmal fertigen lässt, das künftig in Berlin-Mahlsdorf stehen soll.

Bäcker backen kleinere Brötchen, Bierflaschen werden knapp, in deutschen Büros wird bei 19 Grad gezittert – aber der Sandmann wird in 155 Kilogramm Bronze gegossen, die dafür auf mindestens 1200 Grad erhitzt werden müssen. Die RBB-Reportage als Brennpunkt zur besten Sendezeit zeigte Arbeiter, die in furchteinflößender Schutzkleidung an heißen Öfen hantieren, bis die Lava endlich fließt. „Die Hitze ist überall im Raum spürbar“, sagt der Reporter trocken, während ich meine Kuscheldecke enger um die Knie schlinge.

Was macht der Ostfriese, wenn er heißes Teewasser übrig hat? Er friert es ein. Wir sind keine Ostfriesen. Ich habe einen Bildhauer gefragt, was ein Kilogramm Bronzeguss an Energie kostet. „Ui“, sagte er. Der Sandmann wird, wenngleich spendenfinanziert, eine kostspielige Energie-Sause. Für 35.000 Euro.

Aber natürlich kann jeder Bronze gießen, wie er will. Und ich bin dankbar, dass hier noch ganz klar vom Sandmann als Mann gesprochen wird. Auch wenn der erdige Bronzefarbton dem Typen eine südländische Anmutung verleiht, samt Dreadlocks unterm Kapuzenpulli und einem Bärtchen, das heute jedem Hipster stehen würde. Und mit wenigen Handgriffen ließe sich daraus vermutlich auch ein Schlumpf basteln. Das spielt aber gar keine Rolle. Der Typus ist unangreifbar. Ich weiß nur nicht, ob es mich beunruhigt oder tröstet, dass wir hier im Osten der Republik nicht wegkommen von diesem Männeken. Nach der jahrelangen Sonderausstellung im Filmmuseum hätte man es auch mal gut sein lassen können.

Denn die Fangruppe, die damals täglich zur Abendbrotzeit vor der Glotze saß, ist heute ja genauso alt wie der Kapuzenmann. Warum wird der Markenbotschafter für Frieden, Völkerfreundschaft und Fortschritt weiterhin von Menschen in ihren 50ern so angehimmelt? Jaja, vermutlich genau deshalb… Herr S. fuhr Elektroautos, die aussahen wie das Papst-Mobil, er nahm die Öffis oder moderne E-Roller! Er war uns so voraus… Nicht zu vergessen seine Rakete, natürlich eine sowjetische. Und nur mal angenommen, sein Zug wäre ausgefallen, wegen Kabeldiebstahl oder so – hätte er sich aufgeregt, wäre er laut geworden? Natürlich nicht. Er war die Sanftmut selbst. Er hätte das mit einer Truppe Jungpioniere geregelt.

Nun also bekommt die Hauptstadtregion einen 155-Kilo-Bronze-Sandmann, 1,20 Meter groß. Einweihung am Sandmann-Geburtstag am 22. November. Dass der einen hat und dieser begangen wird, macht mir fast noch mehr Angst. Bestimmt ist der RBB wieder dabei, weil wir offenbar genau solche Geschichten brauchen. Manchmal ist alles so Gute-Nacht...

Unsere Autorin ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg.

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