EDF: Nukleares Risiko Frankreich - wie Électricité de France Europas Energiekrise verschärft - manager magazine

2022-11-07 15:22:10 By : Ms. Cecy Yan

EDF Atomkraftwerk in Südfrankreich: Von 56 Atommeilern stehen derzeit 28 still

Die Bilanz des einst stolzen Energieriesen Électricité de France – kurz: EDF – für das erste Halbjahr hat nicht nur Anleger, sondern auch Frankreichs führenden Atomfreund Emmanuel Macron (44) geschockt. Ein Nettoverlust von 5,3 Milliarden Euro, 28 der 56 Atommeiler im Land derzeit abgeschaltet, der operative Gewinn um 75 Prozent eingebrochen, die Prognose für den Jahres-Energie-Output drastisch gesenkt.

2022 werde ein "herausforderndes Jahr", kommentierte EDF-Chef Jean-Bernard Lévy (67) die Halbjahresbilanz. Dies dürfte als Untertreibung des Jahres durchgehen.

EDF Chef Levy: "Spezialtraining" für die Schweißer-Teams

Im Fall EDF geht es nicht nur um eine Konzernkrise, sondern um eine Energie- und Versorgungskrise Frankreichs – mit Auswirkungen auf ganz Europa. Die noch am Netz verbliebenen Meiler produzieren derzeit so wenig Strom wie seit 1999 nicht mehr und werden im nahenden Winterhalbjahr den nationalen Bedarf bei Weitem nicht decken können. Der Traum, Frankreich könne mit günstigem und verlässlichem Atomstrom Deutschland und andere Länder während der Übergangsjahre hin zu erneuerbaren Energien unterstützen, hat sich als Illusion erwiesen.

Im Gegenteil: Die Nachbarn versorgen nun Frankreich mit Energie. Nach Angaben der Bundesnetzagentur hat der einstige Strom-Nettoexporteur bereits im Juni und Juli mehr Strom aus Deutschland importiert als exportiert. Dieser Trend dürfte sich im Herbst fortsetzen und damit die Energiekrise in Europa verschärfen.

Schon jetzt gilt das Atom-Debakel als entscheidender Faktor für die aktuellen Marktturbulenzen und als ein nicht kalkulierbares Kosten-Risiko für die Zukunft. Die Ankündigung von EDF-Chef Lévy vor wenigen Tagen, dass im Winter wohl weitere Atommeiler wegen dringender Wartungsarbeiten abgeschaltet werden müssen, hat den Preis für die gehandelten Strommengen auf ein zwischenzeitliches Rekordhoch getrieben. Die Atomstrategie Macrons wird inmitten der Energiekrise in Europa nicht zum Teil der Lösung, sondern zum Kostentreiber und damit zum Problem.

Wie konnte es so weit kommen? Missmanagement und Planlosigkeit der EDF-Führung, aber auch die Sorglosigkeit der Politik haben den Konzern an den Rand des Abgrunds getrieben. Konzernchef Lévy sandte zuletzt mehrere Gewinnwarnungen aus. Und die Schulden von EDF sind mit 43 Milliarden Euro so erdrückend, dass das Parlament in Paris Ende Juli beschloss, auch die verbleibenden 16 Prozent der Anteile zu kaufen und den Konzern damit komplett zu verstaatlichen, um eine Pleite von EDF zu verhindern.

Die 56 Atommeiler sind hoffnungslos überaltert, 41 Atomkraftwerke werden binnen der nächsten 5 Jahre ihre ursprünglich vorgesehene Betriebsdauer von 40 Jahren erreichen. Das Management hat es verschlafen, rechtzeitig für neue Kraftwerke oder für eine Alternative zur Atomkraft zu sorgen, aus der die EDF noch immer rund 75 Prozent ihres Stroms erzeugt. Der Wartungsaufwand wurde jahrelang unterschätzt, nun explodieren die Kosten und der Konzern muss seine Anlagen reihenweise zwangsabschalten.

Auch die Hitzewelle in Frankreich muss als Erklärung für den dramatischen Leistungsschwund herhalten. Einige Kraftwerke wurden gedrosselt, weil sie ihr Kühlwasser überwiegend aus der Rhone beziehen und dieses den Fluss bei voller Leistung aufgeheizt hätte.

Hinzu kommt, dass an den Wasserleitungen der Kühlsysteme der jüngeren EDF-Meiler Rost aufgetreten ist. Deshalb mussten gleich zwölf AKW der jüngeren Generation abgeschaltet werden. Die EDF-Ingenieure zeigten sich völlig überrascht, der Konzern selbst präsentierte sich beim Thema "Korrosionsphänomen" zuletzt vor allem hilflos: Die Atomsicherheitsbehörde habe bestätigt, dass man mit den jüngsten Untersuchungen der schadhaften Kühlsysteme "angemessen" reagiert habe, hieß es lapidar bei der Vorstellung der Halbjahresbilanz. Man bemühe sich darum, dass Ersatzteile "so rasch wie möglich verfügbar seien", und man habe ein "Spezialtraining" für die Schweißer-Teams organisiert, damit diese die Arbeiten "auf einem hohen Qualitätslevel" durchführen könnten.

Eine schnelle Lösung ist das nicht. Die Sanierungsarbeiten werden viele Monate dauern. Allein die Renovierung und Instandsetzung der bestehenden Meiler wird nach Berechnungen des französischen Rechnungshofs bis zum Jahr 2030 mindestens 100 Milliarden Euro verschlingen.

Die Mängel sind so gravierend und die Arbeiten so langwierig, dass der Chef der französischen Atomsicherheitsaufsicht, Bernard Doroszczuk, kürzlich einen "Marshallplan" für die Nuklearbranche samt massiver staatlicher Investitionen forderte. Rund 70 Prozent der Energie in Frankreich wird in den AKW produziert – mehr als in jedem anderen europäischen Staat. Die Nuklearprobleme des Landes würden anscheinend zu einem größeren Problem als die Ausfälle der russischen Gaslieferungen, so Norbert Rücker, Ökonom bei Julius Baer.

Atomfreund Macron: 14 neue Meiler, Verstaatlichung und Flucht nach vorn

Doch auch Frankreichs Wirtschaftspolitiker, die jetzt als Retter gerufen sind, tragen eine Mitschuld an der Malaise. Macrons Regierungsbündnis hat einen beim Volk populären "Energie-Schutzschild" eingeführt und den staatlichen Konzern EDF angewiesen, knapp die Hälfte seiner produzierten Elektrizität zu einem reduzierten Preis zu verkaufen. "Diese Entscheidung erleben wir als echten Schock", sagte EDF-Boss Lévy. Allein dieser Preisdeckel habe EDF rund 8 Milliarden Euro gekostet.

Auch beim Thema Fehlplanung schiebt EDF einen Teil der Schuld der Politik zu. Noch im Jahr 2014 habe das Energiewendegesetz vorgesehen, den Anteil des Atomstroms bis 2025 auf 50 Prozent zu verringern. EDF habe daher keine Planungssicherheit gehabt.

Inzwischen hat Macron diese Vorgabe wieder kassiert und treibt den Ausbau der Atomkraft umso entschlossener voran. Zur Flucht nach vorne gehört auch, dass die Regierung bei den Verhandlungen zur EU-Taxonomie die Atomkraft gerade erst als "nachhaltige" Energieform durchgedrückt hat. Nur mit diesem Label kommt die staatliche EDF auch künftig an günstige Milliardenkredite, die sie zum Überleben braucht.

Eine echte Energiewende haben die EDF-Manager verschlafen. Der Konzern produziert derzeit weniger als 20 Prozent seines Energiemixes aus Erneuerbaren Energien – obwohl Frankreich gute Voraussetzungen für Solar- und Windenergieanlagen bietet. Stattdessen sollen auch die künftigen Milliardeninvestitionen vor allem in Atomkraft fließen.

Bis zu 14 neue Atomkraftwerke sollen in Frankreich bis zum Jahr 2035 entstehen. Dass die neuen Meiler "extrem teuer" werden, hat EDF schon vorsorglich angekündigt. Der Konzern hat bereits mit seinem neuen Druckwasserreaktor (EPR) in Flammanville in der Normandie ein Bau- und Kostendebakel erlebt. Der Reaktor sollte nach fünf Jahren Bauzeit ursprünglich 2012 ans Netz gehen – nun soll es frühestens Mitte 2023 so weit sein. Die Kosten sind von zunächst geplanten 3,3 Milliarden Euro auf 13 Milliarden Euro geklettert.

Für die vorgesehenen Neubauten sind Investitionen in dreistelliger Milliardenhöhe veranschlagt. Ein Riesenprogramm, für das notfalls der Steuerzahler aufkommen muss.

Neuer Atomreaktor Flamanville (2013): Kosten von 3 auf 13 Milliarden Euro gestiegen

Es zeichnet sich ein Dauerproblem ab. Wie Frankreich die Versorgungslücke in den kommenden Jahren schließen will, weiß derzeit niemand. Bereits jetzt wird über eine Laufzeitverlängerung der maroden Meiler diskutiert.

"Mit dem gleichen Geld, mit dem wir jetzt die Lebensdauer der Atomkraftwerke verlängern wollen, könnten wir auch bis zu 70 Offshore-Windparks bauen", sagte der Abgeordnete der Linkspartei LFI, Antoine Léaument, während der Debatte um die komplette Verstaatlichung von EDF. "Damit könnten wir mehr Strom erzeugen als mit unseren Atommeilern." Und sein Parteivorsitzender Jean Luc Mélenchon (71) attestierte: "Frankreich ist heute das Land, das in der EU am weitesten hinter seinen Zielen für erneuerbare Energien zurückliegt."

Für EDF-Chef Levy ist der Energiemix derzeit zweitrangig. Für den Konzern, der in Frankreich die Versorungssicherheit nicht mehr gewährleisten kann, geht es inzwischen ums Überleben.

Der Absturz seiner EDF, so viel ist klar, wird auch die europäischen Nachbarn weiter beschäftigen. Ab 2030 will die EU sich vom russischen Gas befreit haben – auf Frankreich in der traditionellen Rolle als Energieexporteur sollten die Staaten besser nicht zählen.

EDF Chef Levy: "Spezialtraining" für die Schweißer-Teams

Neuer Atomreaktor Flamanville (2013): Kosten von 3 auf 13 Milliarden Euro gestiegen