Ein Feuerwehrmann über seine Waldbrand-Erfahrungen: »Man hört auch flüchtende Tiere« - DER SPIEGEL

2022-11-07 15:26:49 By : Ms. Karen Xie

Dein SPIEGEL: Wo haben Sie zuletzt gelöscht?

Micke: In Lüdenscheid, wo meine Arbeitsstelle ist. Und in der Sächsischen Schweiz, in einem Naturschutzgebiet. Beides waren Waldbrände. Der in der Sächsischen Schweiz war heftig, er ging wochenlang. In Naturparks gibt es keine Straßen, keine Wege, keine Hydranten. Das Gebiet ist kaum zugänglich. Das erschwert das Löschen sehr.

Sean Micke, 32, arbeitet für die Feuerwehr Lüdenscheid und engagiert sich bei der Hilfsorganisation @fire.

Dein SPIEGEL: Wie klingt ein Waldbrand?

Micke: Beängstigend. Man kennt das Geräusch von Blättern, die im Wind rauschen. Auch beim Waldbrand rauschen die Blätter – aber im Feuersturm. Es knistert und knackt überall. Man hört auch flüchtende Tiere. Vögel warnen das restliche Tierreich mit ihren Rufen und fliegen davon. Auch das Wild haut ab, man hört es durchs Gebüsch rasen.

Dein SPIEGEL: Aber es schaffen gewiss nicht alle Tiere zu fliehen ...

Micke: Nein, längst nicht. Vor allem kleine Nagetiere haben es schwer. Sie versuchen, im Feuergebiet Schutz zu finden, indem sie in Höhlen kriechen oder auf Bäume klettern. Ganz kleine Tiere wie Insekten und Spinnen kommen im Feuer um.

Dein SPIEGEL: Wie heiß ist es in einem brennenden Wald?

Micke: In den Glutnestern kann es bis zu 1000 Grad Celsius heiß werden. Schon ohne Feuer ist es in Gebieten, die von Waldbränden bedroht sind, heiß. Die Sonne knallt, alles ist ausgetrocknet. Da schwitzt man in der Ausrüstung. Doch direkt an der Feuerfront ist es fast unerträglich. Wie wenn man ganz nah rangeht an ein großes Osterfeuer und dabei in warmen Klamotten steckt.

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Dein SPIEGEL: Haben Sie spezielle Waldbrand-Schutzkleidung?

Micke: Ja, sie besteht aus viel weniger Stoffschichten als die Ausrüstung für normale Feuerwehreinsätze, etwa bei einem Gebäudebrand. Die ist so dick wie ein Skianzug – völlig ungeeignet für die extreme Hitze eines Waldbrands.

Dein SPIEGEL: Wie lange können Sie direkt am Feuer stehen?

Micke: Das hängt von der Flammenhöhe ab. Bei Flammen von anderthalb Meter Höhe nur wenige Sekunden, bei hüfthohen Flammen vielleicht ein paar Minuten. Dann muss man sich wieder zurückziehen. Waldbrände zu löschen ist unheimlich anstrengend. Das Gelände ist meist uneben, es geht bergauf, bergab, man schleppt Wasserschläuche, Werkzeug, hat die schwere Ausrüstung an. Man muss regelmäßig Trinkpausen machen. Sonst hält man das gar nicht durch.

Dein SPIEGEL: Haben Sie Angst bei den Einsätzen?

Micke: Nein. Ich vertraue meiner Ausbildung, meiner Ausrüstung und vor allem: Ich vertraue meinem Team. Unsere Arbeit ist sehr gefährlich. Dessen sind wir uns alle permanent bewusst. Doch wir müssen in beängstigenden Situationen handlungsfähig bleiben, daher lernen wir, unsere Angst zu kontrollieren. Und wir gehen sehr überlegt und taktisch vor.

Löscharbeiten in der Sächsischen Schweiz

Dein SPIEGEL: Wie bekämpft man einen Waldbrand?

Micke: Zuerst braucht man ein fliegendes Auge, eine Drohne oder einen Helikopter, um von oben einen Überblick zu bekommen: Was brennt? Wie groß ist das Gebiet? Dann versuchen wir herauszufinden, was das Feuer will und was das Feuer kann. Ein Beispiel: Der Wind kommt seitlich so, dass das Feuer nach rechts weiterbrennen »will«. Da ist aber eine Straße oder ein Staudamm, da kann es nicht weiter. Oder aber: Dort ist trockenes Holz – dort wird es brennen. Unsere erste Aufgabe ist, die Menschen dort rauszuholen, wo es brennen wird: Wir retten Spaziergänger, evakuieren Waldkindergärten und Altenheime. Die zweite Aufgabe ist es, Gebäude zu schützen: Häuser und Kraftwerke, die im Brandgebiet liegen. Um die Flammen zu bekämpfen, gibt es die offensive und die defensive Taktik.

Dein SPIEGEL: Was bedeutet das genau?

Micke: Offensiv heißt: die Flammen direkt bekämpfen, etwa indem man mit Wasser draufspritzt. Defensiv heißt zum Beispiel, eine Schneise zu schlagen. Wir entfernen die Pflanzen, bevor das Feuer da ist, mit Kettensägen etwa. Und mit Hacken kratzen wir den Bewuchs weg, damit ein sogenannter Wundstreifen entsteht und das Feuer es schwer hat, da drüberzubrennen. Das braucht viel Erfahrung, denn wenn man das Feuer falsch einschätzt, legt man den Wundstreifen dort, wo das Feuer vielleicht gar nicht ankommt – etwa weil der Wind sich dreht.

Dein SPIEGEL: Warum sind Sie als deutscher Feuerwehrmann auch im Ausland im Einsatz?

Micke: Das mache ich mit der Hilfsorganisation @fire. Alle Feuerwehrleute, die da mitmachen, machen das ehrenamtlich. Wir helfen zum Beispiel in Portugal oder in den USA.

Dein SPIEGEL: Gibt es da zu wenige Feuerwehrleute?

Micke: Nein, aber die Waldbrände dort sind nicht vergleichbar mit denen in Deutschland. Sie werden so groß, dass sie kaum mehr zu kontrollieren sind. Da ist jede Hilfe willkommen.

Dein SPIEGEL: Warum sind die Waldbrände denn zum Beispiel in Portugal so schlimm?

Micke: Das Klima dort ist anders: Es ist wärmer und trockener als bei uns. Dazu kommt die Topografie: Ein großer Teil des Landes ist gebirgig oder zumindest hügelig. Beides führt dazu, dass es viel heftiger brennt und sich das Feuer mit rasender Geschwindigkeit ausbreitet. Schon bei zehn Grad Steigung brennt ein Feuer doppelt so schnell.

Dein SPIEGEL: Was passiert da genau?

Micke: Feuer brennt nach oben. Die Hanglage der Pflanzen auf Bergen führt dazu, dass die Flammen permanent »Futter« bekommen. Sie brennen nicht nur in der Ebene alles weg, sondern auch an der Hangseite. Die Sonne, die von oben knallt, unterstützt die schnelle Hitze- und Brandentwicklung. Berge erschweren auch das Löschen. Oft ist das Gelände zu steil, um mit dem Auto zu fahren. Dann müssen wir alles Werkzeug zu Fuß schleppen. Außerdem müssen wir das Wasser hochpumpen – das geht in großer Höhe kaum mehr, der Druck reicht nicht aus.

Dein SPIEGEL: Wie organisiert sich @fire?

Micke: Da wir ehrenamtlich arbeiten, müssen wir in unseren Alltagsjobs freinehmen, um zu den Rettungseinsätzen zu kommen. Oft müssen wir sehr kurzfristig abfliegen. Zum Glück haben wir Abmachungen mit Fluggesellschaften, um unsere üppige Ausrüstung mitzunehmen und ein bisschen günstiger fliegen zu können. Die Ausgaben bezahlen wir mit Spendengeldern.

Dein SPIEGEL: Die Klimakrise erhöht die Zahl der Waldbrände von Jahr zu Jahr. Sind die Feuerwehren darauf eingestellt?

Micke: Eben nicht. In den vergangenen Jahrzehnten gab es hauptsächlich andere Feuer, die wir bekämpfen mussten: Unfallbrände, Gebäudebrände.

Dein SPIEGEL: Das heißt, Feuerwehrleute sind gar nicht ausgebildet, Waldbrände zu bekämpfen?

Micke: Genau. In der Regel lernt man bisher weder bei der freiwilligen Feuerwehr noch bei der Berufsfeuerwehr die Bekämpfung dieser Brände. Auch dafür ist unser Verein @fire so wichtig: Bei Einsätzen in Ländern, die schon länger mit Waldbränden zu tun haben, lernen wir von unseren Kolleginnen und Kollegen, wie man diese Feuer bekämpft, und wir geben dieses Wissen in Deutschland weiter. Wir schulen andere Feuerwehrleute.

Dein SPIEGEL: Was muss sich ändern?

Micke: Waldbrand-Bekämpfung muss Teil der Grundausbildung jeder Feuerwehrfrau und jedes Feuerwehrmannes werden.

Dein SPIEGEL: Was wünschen Sie sich?

Micke: Ich stelle mich nicht gerne vor die Feuerfront. Ich würde das lieber nicht machen müssen. Deshalb ist mein großer Wunsch, dass wir die Ursache für Waldbrände bekämpfen, den Klimawandel. Wir müssen sorgsamer mit der Umwelt umgehen, die Lampe eher ausmachen, die Heizung runterdrehen, das Auto stehen lassen. Und endlich begreifen: Wir sind es, die die Natur brauchen. Sie braucht uns Menschen aber nicht.

Dieses Interview erschien in »Dein SPIEGEL« 11/2022.

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Sean Micke, 32, arbeitet für die Feuerwehr Lüdenscheid und engagiert sich bei der Hilfsorganisation @fire.

Bei der Lagebesprechung beraten die Feuerwehrleute ihr Vorgehen.

Auf dem Weg zum Feuer: Ein Hubschrauber bringt die Waldretter ins Brandgebiet. Mit Autos kommt man nicht hinein.

Aussicht: Vom Hubschrauber aus überblicken die Feuerwehrleute ihr Einsatzgebiet.

Im Brandgebiet: Die Feuerwehrleute legen mit Handwerkzeugen einen Wundstreifen. Der Graben im Boden verhindert, dass das Feuer sich weiter ausbreitet.

Ein Tank mit Löschwasser: Mithilfe der roten Pumpe wird das Wasser durch die Schläuche transportiert.

Weite Fußmärsche: Bei Waldbränden müssen Feuerwehrleute oft stundenlang durch unwegsames Gelände laufen, Einsatzfahrzeuge können dort nicht fahren.

Löscharbeiten: Die Einsatzkräfte legen ein Glutnest im Waldboden frei und spritzen Wasser hinein. Das Feuer frisst sich bis zu einem halben Meter tief in die Erde.

Bei der Lagebesprechung beraten die Feuerwehrleute ihr Vorgehen.

Auf dem Weg zum Feuer: Ein Hubschrauber bringt die Waldretter ins Brandgebiet. Mit Autos kommt man nicht hinein.

Aussicht: Vom Hubschrauber aus überblicken die Feuerwehrleute ihr Einsatzgebiet.

Im Brandgebiet: Die Feuerwehrleute legen mit Handwerkzeugen einen Wundstreifen. Der Graben im Boden verhindert, dass das Feuer sich weiter ausbreitet.

Ein Tank mit Löschwasser: Mithilfe der roten Pumpe wird das Wasser durch die Schläuche transportiert.

Weite Fußmärsche: Bei Waldbränden müssen Feuerwehrleute oft stundenlang durch unwegsames Gelände laufen, Einsatzfahrzeuge können dort nicht fahren.

Löscharbeiten: Die Einsatzkräfte legen ein Glutnest im Waldboden frei und spritzen Wasser hinein. Das Feuer frisst sich bis zu einem halben Meter tief in die Erde.

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